Puffer

Maria steht vor dem Spiegel. Die Wimpern in dunkelbraun getuscht. Noch kurz die Lippen. So kann sie in den Tag starten. Aus den Augenwinkeln sieht sie die Uhr im Badezimmerregal. Sie lächelt, während sie den Blick über das aufgeräumte Regal mit den farblich abgestimmten Flakons und Handtüchern streifen lässt. Noch fünf Minuten, dann muss sie los.

Nur kurz einen Kaffee und sie ist bereit für den Tag. Mit gebügeltem Blazer und aufrecht auf ihrem Körper sitzendem Kopf verlässt sie das Badezimmer und biegt direkt rechts ab in die Küche. “Buuuhh”, Lukas klatscht seine Hände gegen ihre Oberschenkel und hinterlässt zwei rote Abdrücke auf der hellen Jeans. Auf dem Fußboden hinter ihm liegt ein Kinderteller mit ausgefrorenen Himbeeren. “Ich hatte Lust auf Eisbeeren, möchtest du auch welche?”, fragt er sie. Die kalte Himbeere im Mund verwäscht seine Aussprache, aber das Lachen auf seinem Gesicht verrät seinen Stolz.

Maria blickt an sich und ihrer eben noch sauberen Hose herunter. Ihr kleiner Bruder stopft eine Himbeere nach der nächsten in sich hinein und der Minutenzeiger auf der Uhr hinter ihr scheint sich auf einmal doppelt so schnell zu drehen. “Nein danke, ich muss mir was anderes anziehen.” Sie macht auf dem Absatz kehrt, als ihre Mutter die Küche betritt. “Süße, du siehst ja toll aus. Bereit für deine… Ohh, was ist hier denn passiert?” – “Er wollte wohl Himbeeren essen.” “Ja. Das kann ich sehen.” Ihre Mutter grinst und hebt den vor rotem Saft triefenden Lukas hoch. “Schmeckt es dir denn wenigstens?” Sie lacht.

Maria spürt, wie sich ihr Bauch fester anfühlt und ihr Herz beginnt zu schlagen. “Ich muss mich umziehen”, sagt sie nun nochmal zu ihrer Mutter. Diese blickt sie nun an. “Oh ja, das kann ich sehen.” Ihre Augen wandern zu der Uhr. “Ich weiß, du bist gern früh unterwegs. Aber du hast genug Zeit. Jetzt machen sich deine Puffer bezahlt.” Ihre Mutter lässt Lukas zum Boden zurück und macht einen Schritt auf sie zu. “Es wird alles gut. Zieh dich kurz um. Ich mach dir einen Kaffee, wasche mir die Hände und dann nehme ich dich in den Arm. Nicht, dass dein Blazer gleich auch rot ist. Atme einmal tief durch. Du hast noch mindestens zwanzig Minuten, bevor du wirklich los musst.”

Maria nickt und verlässt den Raum. Jetzt macht sich ihr Puffer bezahlt. Ihr Atem verlangsamt sich, während sie eine neue Hose anzieht und diesem Gedanken Raum lässt. Sie lächelt sich im Spiegel an. Immer noch gut. Eigentlich war es ganz süß, wie Lukas da saß. Drei Jahre alt und mindestens 30 tiefgefrorene Himbeeren auf dem Fußboden verteilt. Und in der Mitte ein Teller auf dem noch ungefähr 30 weitere Himbeeren einen Eisklumpen bildeten, der langsam aber sicher schmolz.

Jetzt grinst auch Maria. Ihre Mutter hat recht. Sie hat einen Puffer. Und manchmal muss man den halt nutzen. Kein Grund, nicht mit einem Summen in den Tag zu starten.

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