Taxifahrt

Nach Hause bitte.“, kommt es leise von der Rückbank. „Du müsstest mir noch sagen, wo zu Hause ist.“, antwortet Sonja. „Ach ja. Mozartstraße 23. Tut mir leid, lange Nacht.“ Sonja nickt, macht den Motor an und fährt los. Währenddessen gibt sie ihr Ziel auch an die Zentrale weiter. Von der Rückbank wabern Wölkchen aus Alkohol, Schweiß und Zigarettenrauch nach vorn. Ihr Fahrgast ist bereits eingeschlafen. Am Horizont bildet sich gerade in diesem Moment ein feiner pastellgelber Streifen, den sie nur an dieser einen roten Ampel sehen wird. Ab jetzt wird dieser Streifen bei jedem neuen Stopp an dieser Stelle breiter und breiter, bis die Sonne ganz aufgegangen ist. Im Radio wird bisher nur Musik gespielt, nachts lässt der Sender die Nachrichten weg. Es hört ja sowieso kaum jemand zu.

Sonja liebt ihren Beruf. Gerade die Frühschichten sind meistens entspannt und manchmal spannend. Sie ist fasziniert vom Nachtleben der Stadt, das sie aus ihrem Taxi beobachten kann und dessen Ende sie oft begleitet. Ihre Bekannten verstehen ihre Leidenschaft für diesen Beruf nicht, obwohl es für Sonja auf der Hand liegt. Sie ist das Bindeglied zwischen den wummernden Bässen und dem erholsamen Schlaf oder der nächsten Station auf einer kleinen Reise. Sie darf Menschen begleiten und sicher zu ihrer nächsten Station fahren. Für Sonja kommt es nicht darauf an, dass die Menschen sie wahrnehmen oder ihr dankbar sind. Sie ist diejenige, die danke sagen kann: Danke für die Geschichten, die sie erleben darf. Danke für die geflüsterten Wörter frisch Verliebter oder für die Emotionen eines sich streitenden Pärchens. Danke für gestohlene Küsse und Handberührungen. Danke für Lachanfälle und selige Erschöpfung. Ihr Beruf ist ein Knochenjob. Aber für sie ist es auch die Quelle ihrer eigenen Kreativität. Sonja summt mit dem Song im Radio mit, während sie in die Mozartstraße einbiegt. Vielleicht schafft sie es noch früh genug zurück, um die Färbung von pastellgelb in leuchtendpink zu sehen. Ihren Bekannten kann sie nur sagen, wie nützlich Perspektivwechsel sind.

Lebt leuchtend, Lena.

P.S. Hat Euch der Beitrag zum Lächeln gebracht? Was hat Euch gefallen und was vielleicht auch nicht? Ich freue mich auf Euer Feedback in den Kommentaren oder per Kontaktformular.

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