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Die Papiertüte ist warm und knistert, während Erika sie nach Hause trägt. Keine lange Wartezeit heute. Nicht weiter erstaunlich. Unter der Woche gibt es bei den meisten Nachbarn nur ein schnelles Frühstück. Erika wärmt sich die Hände an der Tüte. Die Autos sind weiß beschichtet und noch ist die Sonne nicht durch die Wolken gebrochen, um die Welt in den nächsten blauen Frühlingstag zu schicken. Der kurze Weg nach Hause genügt leider, um die Brötchen auskühlen zu lassen. Gustav öffnet ihr die Tür und schüttelt sich einmal kurz: „Brr, ist ja noch richtig kalt.“ – „Beim nächsten Mal nehme ich wieder Handschuhe mit.“ Erika schlüpft aus ihren Schuhen, während Gustav ihre Jacke von ihren Schultern nimmt und diese an die alte Garderobe hängt. Beiläufig lässt er seine Hand über ihren Rücken streichen. „Es ist schon alles vorbereitet.“

In der Küche steht alles wie an einem Sonntag aufgetischt bereit. Aber es ist ein Dienstag und es gibt auch nichts zu feiern. „Doch uns!“, entgegnet Gustav und schiebt den Stuhl für seine Frau zurück. Ein echter Gentleman alter Schule halt. Während er den Kaffee einschenkt, schneidet Erika ein Brötchen auf und legt die obere Hälfte auf Gustavs Teller und die untere auf ihren.

Sophia beobachtet dieses Spektakel seit einer Woche. Ihre Großeltern tippeln jeden Morgen die gleiche Schrittfolge ab und teilen dann jedes Brötchen in Ober- und Unterhälfte auf. Obwohl sie letztlich beide zwei ganze Brötchen essen. Zuerst wollte Sophia fragen, warum. Langsam versteht sie es: Ihre Großeltern teilen mehr als ihr Frühstück. Sie teilen eine Vergangenheit und bewahren diese nicht in Boxen oder Fotoalben auf. Sie leben das Teilen jeden Tag und starten damit schon beim Frühstück.

Lebt leuchtend, Lena.

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