Überzeugend

Der Blick aus dem Fenster ist jeden Morgen der gleiche Ernüchterungsmoment, den sie durchlebt, um danach motiviert zu starten. Ein Eckbüro mit Seeblick. Das wäre es. Katja blickt immer nur auf die anderthalb Meter entfernte Wand des grauen Nachbargebäudes. Um ihre Chefin zu beeindrucken muss ihr schon etwas mehr einfallen, als immer nur wieder den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Katja fährt den höhenverstellbaren Schreibtisch in die Standposition und bewegt die Hüfte von links nach rechts. Das Telefon auf ihrem Schreibtisch klingelt und sie legt schnell das Headset an. „Katja, könntest du bitte um 10:00 Uhr in mein Büro kommen?“ – „Selbstverständlich. Worum geht es denn? Soll ich etwas vorbereiten?“ – „Nein, nein. Komm einfach vorbei.“ Seltsam, normalerweise ruft ihre Chefin nicht gleich morgens an und bittet sie ohne den Grund zu nennen ins Büro. Der Computer ist hochgefahren und die Dokumente bereits geöffnet. Diese Tabelle wird Katja irgendwann noch um den Verstand bringen, aber irgendjemand muss die Daten ja aktuell halten. Klick für Klick wird sie sich hocharbeiten. Das sagt zumindest ihr Freund ständig. Der hat gut reden, ist er doch sein eigener Chef. Einer dieser Überfliegerjungunternehmer. Wäre sie nicht total verschossen in den Kerl würde sie vermutlich vor Neid platzen.

Pünktlich um 10:00 Uhr klopft sie an die Tür ihrer Chefin. „Komm rein. Ich muss nur noch kurz die Sache hier abspeichern.“ Sie deutet Katja an, sich auf einen der beiden breiten Ledersessel vor ihrem Schreibtisch zu setzen. Katja stolpert fast über die Teppichkante, die es vorher noch zu überwinden gilt, schafft es dann aber ohne weitere Zwischenfälle, sich einigermaßen elegant zu setzen. Fast zeitgleich klappt die Chefin bereits den Laptop zu. „Möchtest du was trinken?“ – „Nein danke.“ – „Gut, wie du meinst. Es geht um folgendes: Du bist jetzt seit zwei Jahren hier und ich habe den Eindruck, dass du unter deinen Möglichkeiten bleibst.“ Ist das verklausuliert für Du-machst-nicht-genug? „Was hältst du davon, wenn du dein eigenes Projekt bekommst und da zeigst, was du kannst?“ Katja zieht die Augenbrauen zusammen. „Meinst du das ernst?“ – „Katja, ich habe zu wenig Zeit, um es nicht ernst zu meinen.“ – „Aber ich mache doch die ganze Zeit nur die Datenbankpflege.“ – „Das ist genau mein Punkt: Du machst das, was du sollst. Das machst du sehr gut. Mir ist schon klar, dass es da häufig Probleme gibt. Ich weiß aber auch, dass das meistens nicht an der Person liegt, die die Kontrolle hat. Rate mal, auf welchem Posten ich vor zwanzig Jahren hier angefangen habe.“ Ihre Chefin zwinkert Katja zu und schaut sie fragend an. „Also nochmal. Möchtest du die Verantwortung für ein eigenes Projekt übernehmen? Dann ist jetzt der Moment um zu nicken.“ Langsam bewegt Katja den Kopf von oben nach unten und wieder nach oben. Klick für Klick nach oben.

Lebt leuchtend, Lena.

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