Zugfahrt

Sie setzt sich ans Fenster. Die Heizungen sind voll aufgedreht und die Luft riecht verbraucht, obwohl die Türen noch geöffnet sind. „Ist da noch frei?“ Sie nickt dem Mann zu, der sich ihr gegenüber hinsetzt. Sie widmet sich wieder der Musik in ihren Ohren und versucht, das Zuggeschehen auszublenden. Es ruckelt kurz und der Zug setzt sich in Bewegung. Die Fahrt zur Arbeit dauert 20 Minuten. Melissa riecht Kaffee. Sie hebt den Blick, um nach einem Mitfahrer mit Kaffeebecher zu suchen. „Auch einen?“, fragt der Mann, der ihr gegenüber sitzt. Melissa stutzt. „Na, erkennst du mich jetzt endlich?“ – „Florian! Wahnsinn, was machst du denn hier?“ – „Ich arbeite jetzt hier und muss morgens immer pendeln. Wie du?“, fragt er mit Blick auf ihre Aktentasche. „Ja, jeden Morgen. Oh, ich freu mich, dich zu sehen. Ist ja ewig her.“ – „Und wie gut, dass du hoch geguckt hast. Ich dachte echt schon, ich hätte mich vertan.“

Ja, wie gut. Melissa grinst. So ein Hochgefühl hatte sie am frühen Morgen schon lange nicht mehr. Während der Zug durch neblige Felder zieht und dabei die Sonne aufgeht, zieht Melissas Geist durch ihre Jugend und ihr geht eine Erkenntnis auf: Manchmal lohnt es sich, die Welt hereinzulassen. Das Leben ist zu schön, um das summende Gefühl einer erfrischenden Begegnung gegen die künstliche Stille der Abschottung zu tauschen.

Lebt leuchtend, Lena.

P.S. Hat Euch die Geschichte zum Lächeln gebracht? Was hat Euch gefallen und was vielleicht auch nicht? Ich freue mich über Euer Feedback in den Kommentaren oder per Kontaktformular.

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