Morgenkaffee

Es ist kalt. Die Finger frieren ihr ein, obwohl nur die Fingerspitzen frei liegen. Der Rest in warme Wollstulpen gehüllt. Leider wenig erfolgreich momentan. Die nasskalte Luft findet ihren Weg in ihre Glieder. Sophia steht vor dem kleinen Kaffeewagen, den sie betreibt und wartet auf den ersten Kunden. Das kann dauern, bei dem Dauernieselregen und den niedrigen Temperaturen rund um Null Grad wird sich morgens um 7:00 Uhr im Dunkeln maximal ein Hundebesitzer einen Kaffee gönnen und die bleiben meistens nicht stehen. Sophia versucht gar nicht erst, ihre Fingerkuppen am Kaffeebecher zu wärmen: Die wiederverwendbaren Thermobehälter geben keine Wärme nach außen ab. Ansonsten wären sie als Thermobehälter wohl auch unbrauchbar.

Sophia wandert auf ca. 5 Quadratmetern auf und ab und fragt sich, warum sie überhaupt so einen Scheißjob hat. Jeden Tag steht sie sich in aller Herrgottsfrühe die Beine in den Bauch und bei schlechtem Wetter wird sie entweder nass oder muss frieren oder beides. Das ist der Preis der Selbstständigkeit sagt sie sich. Du wolltest das so, sagt die kleine Stimme in ihrem Kopf. Gib jetzt nicht auf. Das stimmt, Sophia hat vor zwei Jahren ihren gut bezahlten Vollzeitjob gekündigt, einen Barristerschnellkurs absolviert, ihr gesamtes Erspartes in den kleinen Kaffeewagen, der auf ein Schwerlastfahrrad montiert ist, investiert und steht nun jeden Tag morgens ab 6:30 Uhr für ihre Kunden bereit. Ohne Ausnahme. Wenn sie sich etwas vornimmt, dann macht Sophia das auch. Aber gerade zweifelt sie ernsthaft an ihrer Zurechnungsfähigkeit. Geld verdient sie so gerade genug, um ihre Fixkosten zu decken.

Am Ende des mit Kopfsteinpflasters gepflasterten Marktplatzes kann Sophia die Lichter der ortsansässigen Bäckerei ausmachen. Dort gibt es natürlich auch frischen Kaffee und die Kunden können sich im warmen Innenraum aufhalten. Bei Sophia gibt es nur ein paar Holzklappstühle mit Fellen, die sie jeden Morgen unter das Vordach des Kaffeewagens stellt. Das Vordach war ihre Idee und ursprünglich nicht am Fahrrad montiert. An Tagen wie heute macht es sich aber äußerst praktisch. Sophia stellt immer ein paar kleine Laternen rund um ihr „Café“ auf, in denen neben großen weißen Kerzen Unmengen an Kaffeebohnen zu finden sind. Die Kaffeebohnen kann man jetzt gerade im Dunkeln nur Erahnen, aber der Kerzenschein sorgt für ein gemütliches Bild an diesem grauen Tag.

Plötzlich stupst Sophia etwas an ihr Bein. „Oh entschuldigen Sie bitte. Das macht er immer, wenn er aufgeregt ist.“, entschuldigt sich eine ältere Dame für ihren Beaglewelpen, der sich nun unschuldig hinter seinem Frauchen versteckt. „Gar kein Problem, kann ich Ihnen einen Kaffee anbieten?“, fragt Sophia die Dame und lächelt. Große Hoffnungen macht sie sich nicht. Warum sollte die Hundebesitzerin während ihres Morgenspazierganges, bei dem wahrscheinlich nur kurz der Hund bewegt werden soll, einen Kaffee trinken wollen. In ihrem ersten Jahr hatte Sophia die Hundebesitzer früh morgens noch direkt angesprochen und sich viele Abfuhren kassiert. Damit hatte sie schnell aufgehört und sich stattdessen, zumindest im Sommer, wenn es schon hell war, mit einem mitgebrachten Buch beschäftigt.

„Das dürfen Sie sehr gern.“, antwortet die Hundebesitzerin zu Sophias Erstaunen. „Was haben Sie denn alles im Angebot?“, fragt die Dame. Während Sophia ihr die von ihr zubereiteten Kaffeespezialitäten vorstellt, nickt die Dame freudig und entscheidet sich dann für einen einfachen Cappuccino, aber mit Schokopulver, das sei ihr wichtig. Sophia macht sich an die Arbeit. Ihre neue Kundin ist ihr sympathisch: „Ich habe sie hier noch nie gesehen, vor allem nicht so früh morgens, wenn noch nicht so viel los ist.“ „Ja wissen Sie, ich bin alt und habe kaum noch das Haus verlassen. Dann habe ich vor ein paar Wochen einen uralten Liebesbrief meines verstorbenen Mannes gefunden, in dem er in seinem damaligen jugendlichen Leichtsinn von mir verlangt hat, niemals mit dem Leben aufzuhören. Sehen Sie, den Brief habe ich jetzt immer bei mir.“, erklärt die Dame und holt einen in die Jahre gekommenen Papierfetzen aus ihrer Brieftasche. „Ich habe mir also Oskar hier angeschafft, damit ich jemanden habe, der mich an das Leben erinnert. Und wenn ich schon einmal dabei bin, zu leben, dann kann ich auch einen Kaffee bei der jungen Frau trinken, die hier seit zwei Jahren jeden Morgen pünktlich um halb sieben steht.“ Sophia verschüttet fast den heißen Milchschaum. „Da oben. Das ist meine Wohnung.“, sagt die Dame und zeigt erklärend auf einen kleinen grünen Balkon im vierten Stock eines anliegenden alten Geschäftshauses. „Das Gebäude gehört meiner Familie schon sehr lange und ich habe die letzten Jahre viel zu viel Zeit da drinnen anstatt hier draußen verbracht. Vielen Dank.“, bedankt sie sich bei Sophia, die ihr den heißen Cappuccino im Thermobecher gibt. „Wie viel bekommen Sie von mir?“, fragt die Dame. „Nichts danke, der geht aufs Haus.“, lächelt Sophia. Sie weiß es jetzt wieder, sie macht diesen Job um zu leben. Sie macht diesen Job, um einer alten Dame am frühen Morgen in der Kälte bei Kerzenschein eine Freude zu machen. Manchmal ist eine Erkenntnis Lohn genug und es genügt, auf das Summen der Stadt zu hören, die gerade langsam um Sophia und ihre Kundin herum erwacht.

Lebt leuchtend, Lena.

P.S. Hat Euch der Beitrag zum Lächeln gebracht? Was hat Euch gefallen und was vielleicht auch nicht? Ich freue mich über Euer Feedback in den Kommentaren oder per Kontaktformular.

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