Ehegelübde

Lass dir Zeit. Alle warten nur auf dich.“, sagt die Fotografin zu ihr. Carolin steht neben ihrem Vater und atmet tief ein. Dann lächelt sie und nickt. „Ok, es kann los gehen.“ Das Gehen fühlt sich ungewohnt an. So schwer und trotzdem energiegeladen. Der Stoff ihres Kleides berührt den Boden und zieht sie leicht nach hinten. Eigentlich ganz gut, so geht sie automatisch aufrechter. Die Musik beginnt zu spielen und Carolin sieht in etwa einhundert Gesichter, die ihr entgegen lächeln. Einige Augen zu den lächelnden Mündern sind mit Tränen gefüllt. Von Reihe zu Reihe lächelt sie den Menschen zu und genießt die Aufmerksamkeit mit jedem Schritt etwas mehr. Die Aufregung schwindet. Das hier ist es. Das ist ihr Hochzeitstag.

Etwa in der Hälfte des Kirchenschiffes vergisst sie all ihre Gäste und hat nur noch Augen für ihren Mann. Den standesamtlichen Teil haben die beiden morgens bereits zu zweit erledigt. Er steht neben dem Pastor vor dem Altar und wartet auf sie. Carolin schiebt alles um sich herum beiseite und macht das für sie Natürlichste auf der Welt: Sie geht auf ihren Mann, ihren besten Freund, ihren Seelenverwandten zu. Sogar die Tatsache, dass ihr Vater sie gerade am Arm den Gang entlang führt, blendet sie komplett aus. Ihr Mann ist alles, was zählt. Ihr Mann – das klingt immer noch ziemlich seltsam. Ob sie sich daran wohl gewöhnen wird?

Am Altar angekommen, übergibt ihr Vater sie an ihren Angetrauten. Irgendetwas hat er gesagt. Carolin kann sich schon Momente danach nicht mehr daran erinnern. Sie steht neben ihrem Mann, der nun mit seinem Ehegelübde beginnt und ihr tief in die Augen sieht:

„Carolin, ich werde dich lieben und ehren, bis das der Tod uns scheidet. In guten wie in schlechten Tagen, in Krankheit und Gesundheit. Ich werde dich lieben. Ganz einfach, weil ich das schon immer getan habe. Ich habe mich in dich verliebt, als wir noch Kinder waren und wusste selber nicht, was da gerade geschieht. Du bist immer für mich da gewesen, egal was für Dummheiten ich ausgefressen habe. Und wir beide wissen, es waren einige. Ich habe dich nie testen wollen und es doch manches mal getan. Trotzdem hast du mir nie den Rücken zugewandt. Deine loyale Freundschaft war für mich jahrelang der Kompass, der mich durch mein Leben geleitet hat. Und dafür möchte ich dir heute danken.“, er räuspert sich. Carolin sieht, wie er versucht, seine Emotionen zu kontrollieren. Bei dem Anblick wird der Kloß in ihrem Hals immer fester. Tränen sammeln sich in ihren Augen. Sie lächelt in tapfer an, während er fortfährt:

„Danke, dass du du bist. Dass du zu mir stehst und dich für mich stark machst. Danke, dass du mir deine Meinung sagst und unerbittlich bist, wenn du etwas ernst meinst. Danke für deine bedingungslose Liebe. Ich kann immer noch nicht begreifen, wie wir zu diesem Punkt gekommen sind, aber das Wie ist auch egal: Wichtig ist das Warum. Wir waren immer mehr als Freunde und ich bin unbeschreiblich glücklich, dass wir das irgendwann begriffen haben.“ Carolin nickt und streichelt seine Hand. Es geht ihr genauso. Wie wunderbar er alles auf den Punkt bringt. Er überrascht sie, hat er doch wochenlang behauptet er würde gar nichts weiter sagen, als „Ich werde dich lieben.“

Ihr Mann sagt: „Du bist mein Leben und deshalb müsste ich dir heute eigentlich auch gar nichts versprechen: Ohne dich wäre ich nicht ich. Es gäbe mich nicht in meiner heutigen Form und deshalb muss ich dich gar nicht bewusst lieben und ehren und dir versprechen, immer an deiner Seite zu bleiben. Ich habe überhaupt keine Wahl. Die Entscheidung habe ich schon in der ersten Klasse getroffen, als dieses kleine vorlaute Mädchen neben mir den Mathelehrer so sehr genervt hat, dass sie in der Ecke stehen musste. Du hast zwar mittlerweile gelernt, nicht immer vorlaut zu reagieren, im Herzen bist du aber noch der Wirbelwind, den ich schon fast mein ganzes Leben liebe. Ich habe schon lange keine Wahl mehr.“

Lebt leuchtend, Lena

P.S. Hat Euch der Beitrag zum Lächeln gebracht? Was hat Euch gefallen und was vielleicht auch nicht? Ich freue mich auf Euer Feedback in den Kommentaren oder per Kontaktformular.

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