Schülerlotsin

Es tropft bereits von ihrer Nasenspitze hinab auf ihre Gummistiefel. Der Regen wird sich bald durch die Nähte ihrer Regenjacke gequetscht haben. Sonja steht trotzdem weiter am Straßenrand und guckt geradeaus in Richtung des Zebrastreifens. Gerade bei diesem Wetter darf sie nicht versagen. Die kleinen Zwerge, deren Eltern nicht zu der Sorte Helikopter gehören, sind auf ihrem Schulweg bei Regen nur schlecht zu sehen. Langsam bildet sich eine kleine Pfütze rund um ihre Stiefel und Sonja tritt von einem Fuß auf den anderen. Pitsch. Patsch. Sie schmunzelt. Kein Wunder, warum Kinder so gern in Pfützen spielen.

Sie zieht ihre gelbe Warnweste etwas enger, obwohl sie genau weiß, dass sie das nicht vor nasser Kleidung bewahren wird. Ein paar Kinder nähern sich dem Zebrastreifen. Vorbildlich bleiben sie auf der anderen Seite stehen und warten, bis Sonja ihnen ein Zeichen zum Weitergehen gibt. Lautes Motorengegröle lässt Sonja herumfahren. Sie stellt sich mitten auf die Straße und hofft, dass der Fahrer früh genug das Bremspedal findet. Die Kinder beeilen sich und gerade noch rechtzeitig kommt der weiße Porsche zum Stehen. Die Scheibe fährt herunter und heraus guckt ein alter Bekannter. Peter und Sonja sind vor vielen Jahren gemeinsam zur Universität gegangen. „Was soll denn der Mist? Ich komme zu spät! Weg da!” Peter hat sie gar nicht erkannt. Sonja lächelt und ahnt, was als nächstes kommt. Er ist nicht der erste Autofahrer der auf die Straßenverkehrsordnung hingewiesen werden muss.

Doch da öffnet sich die Fahrertür und er steigt zu ihrem Erstaunen aus. „Was denken Sie… Sonja? Bist du das?” Peter lacht auf. „Ist wohl nichts geworden mit deinem Superjob, was? Deine armen Eltern. Da haben sie so viel Geld in deine Zukunft investiert. Und jetzt stehst du in deiner Zukunft wie ein begossener Pudel.” Peter grinst. Sonja blickt Peter an und geht einen Schritt in Richtung der Bordsteinkante. Langsam mehrt sich der Verkehr und sie will alles im Auge behalten. „Hast du mir sonst noch etwas zu sagen?” – „Nee lass mal gut sein. Ich hätte genug zu sagen. Aber dein Anblick macht mir gerade wieder gute Laune.” Er lacht immer noch als er ins Auto steigt und Sonja kann sehen, wie er sich auf die Schenkel klopft, kurz bevor er den Gang einlegt und weiterfährt.

„Sonja schüttelt den Kopf. Etwas, nein jemand, zupft an ihrer Regenjacke. „Duuu?” – „Ja?” – „Ich hab hier einen Tee für dich von meiner Mama.” Das kleine Mädchen gibt ihr einen Thermobecher. „Ich soll den Becher auf dem Rückweg wieder mitbringen.” – „Das ist aber lieb von dir und deiner Mama. Dankeschön.” – „Bitte!” Die Kleine hüpft in die nächste Pfütze und biegt dann in die nächste Straße Richtung Schule ab. An Sonjas Handgelenk vibriert es. Zeit, sich auf den Weg zu machen. Am Auto angekommen streift sie die Warnweste ab und hängt die Regenjacke über den Beifahrersitz. Deren Nähte haben nicht versagt, das helle Etuikleid darunter ist noch trocken. Die Gummistiefel tauscht Sonja gegen Pumps, mit denen sie gerade noch so Auto fahren kann.

Beim Losfahren denkt sie an Peter. Manche Menschen werden nie begreifen, dass es eine Ehre sein kann, ein Ehrenamt zu übernehmen. Sie werden ihr Leben lang nur nach dem ersten Eindruck urteilen. Sonja lächelt. Wie gut, so kommt wenigstens kein Neid auf. Der Tee schmeckt köstlich und wärmt sie wieder auf.

Lebt leuchtend, Lena.

P.S. Hat Euch der Beitrag zum Lächeln gebracht? Was hat Euch gefallen und was vielleicht auch nicht? Ich freue mich auf Euer Feedback in den Kommentaren oder per Kontaktformular.

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