Gehalt

Die Tür fällt ins Schloss und Daphne seufzt. Es hätte alles so schön sein können. „Entschuldigen Sie bitte, würden Sie mir den Weg zur nächsten U-Bahn-Station erklären?“, fragt sie die Empfangsdame. Mit der Wegbeschreibung im Kopf verlässt sie den Bürokomplex und verabschiedet sich innerlich von dem Job, der vor einer halben Stunde noch zum Greifen nah war. Sie könnte immer noch zurückgehen, sich entschuldigen und dann den angebotenen Job annehmen. Stattdessen geht sie weiter geradeaus und grinst. Oder vielleicht ruft der Leiter der Personalabteilung sie auch irgendwann an. Egal. Wo sich eine Tür schließt, öffnet sich eine andere. Was passiert ist? Eine Stunde zuvor:

„Guten Morgen Frau Sommer!“, begrüßt sie der Personalleiter im Konferenzraum des Bürogebäudes. Die Möbel sind äußerst modern und Daphne fragt sich beim hinsetzen, ob so ein seltsam geschwungener Stuhl sie überhaupt halten kann. „Wir möchten Ihnen herzlich für ihre Bewerbung danken!“, beginnt der Leiter der Abteilung, für die Daphne sich beworben hat, das Gespräch. Das klassische Bewerbungsgespräch läuft wenig überraschend für Daphne: Vorstellung des Unternehmens, Mitarbeitervorteile, Fragen zu ihrem Lebenslauf, ihrer Motivation und so weiter. Doch dann setzt der Abteilungsleiter zum Gesprächsende an und sagt: „Frau Sommer, ich bin überzeugt, sie passen ganz hervorragend in unser Team! Wenn Sie einverstanden sind, begrüßen wir sie gern ab nächsten Monat in unserer Abteilung.“ Daphne ist etwas irritiert über die schnelle Zusage und beginnt zu lächeln. Ohne eine Antwort abzuwarten, spricht ihr Gesprächspartner aber weiter: „Schön, den Rest können Sie dann ja mit der Personalabteilung klären.“ Er blickt kurz zu seinem Sitznachbarn.

„Nur noch eine Sache: Ihre Gehaltsvorstellung ist natürlich viel zu hoch angesetzt. Das Einstiegsgehalt für Sie läge bei 15.000 Euro weniger. Bitte ändern Sie das dann entsprechend im Vertrag.“, sagt er wieder mit Blick auf den Personalleiter. Er öffnet bereits die Tür, als Daphne sich zu Wort meldet: „Wieso genau ist meine Gehaltsvorstellung denn zu hoch?“ – „Wie schon gesagt, das Einstiegsgehalt für Sie ist niedriger.“ – „Gilt das für alle Mitarbeiter?“ Der Abteilungsleiter schließt die Tür nochmal. „Nein Frau Sommer, es kommt auf die Qualifikation an. Und bei Ihnen zahlen wir maximal das, was ich Ihnen angeboten habe. Nehmen Sie es und freuen Sie sich über Ihren neuen Job.“

Daphne überlegt kurz und antwortet dann: „Wissen Sie was? Ich bin mir sicher, dass Sie gerade der Auffassung sind, Sie würden mich fair behandeln. Ich behandele Sie deshalb jetzt auch fair: Sie können sehen, welche Qualifikationen ich habe. Ich wiederum kann durchaus einschätzen, welches Gehalt ein Unternehmen Ihrer Größenordnung dafür bereit ist, zu zahlen. Ich bin keinen Cent weniger wert. Ich biete Ihnen meine Arbeitskraft als Gegenleistung zu einer fairen Bezahlung an. Entweder Sie nehmen das an und freuen sich über die neue und hochmotivierte Mitarbeiterin, oder nicht. Aber ich werde nicht für weniger arbeiten, als meine Leistung wert ist.“

Der Abteilungsleiter schwitzt sichtbar und bemüht sich, seine Fassung zu wahren. Der Personalleiter sinkt auf seinem Stuhl zusammen. Anscheinend eine neue Situation für die beiden. Daphne nimmt ihre Tasche und gibt beiden die Hand. Sie verabschiedet sich mit den Worten: „Ich bin Ihnen nicht böse, aber Sie hätten von mir für dieses Gehalt nie meine beste Leistung erhalten. Sagen Sie Bescheid, sollten Sie Ihre Meinung ändern.“ Mit erhobenen Kopf und einem Lächeln auf den Lippen schließt sie die Tür.

Während Daphne eine Stunde später aus der U-Bahn steigt und die Frühlingsluft einatmet, ist sie stolz auf sich: Es war richtig, für ihren eigenen Wert einzustehen. Das macht niemand anderes für sie, denn nur sie selber kann realistisch einschätzen, was sie kann. Natürlich hätte sie den Job gerne gehabt, aber viel lieber bleibt sie sich selber treu und glaubt an ihre Qualifikationen. Daphne beginnt, ihr Lieblingslied zu summen und holt sich noch einen Kaffee, den sie in der Morgensonne trinkt. Ein Rückschlag ist nur dann ein Rückschlag, wenn man ihn auch so sieht. Er kann genauso gut eine Chance sein. Es kommt immer auf den Blickwinkel an.

Lebt leuchtend, Lena

P.S. Hat Euch der Beitrag zum Lächeln gebracht? Was hat Euch gefallen und was vielleicht auch nicht? Ich freue mich auf Euer Feedback in den Kommentaren oder per Kontaktformular.

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