Er ist in Eile. Wahnsinnig in Eile und die verdammten Leute vom Streudienst haben sich noch nicht blicken lassen. Seine glatten Sohlen der blank polierten Lederanzugschuhe bringen ihn ständig ins Rutschen. Sein Auto ist nicht angesprungen, obwohl es gerade erst bei der Inspektion war. Dann sieht er sie, wie sie im Halbdunkeln mit ihrem Rollator über den Bürgersteig wackelt und denkt sich noch „Oma pass bloß auf, dass du nicht gleich hinfällst.“ Zu spät. In dem Moment hört er einen Schrei und die ältere Dame liegt am Boden.
Der Eisregen vor einer halben Stunde hat den Bürgersteig zur reinsten Eisfläche verwandelt. Er überlegt kurz, ob er so tun sollte, als hätte er sie nicht gesehen. Aber nein, das wäre dann auch für ihn eine Spur zu krass. „Haben Sie sich verletzt?“, ruft er während, er auf sie zu eilt. So schnell es geht, aber trotzdem recht langsam. Anzugschuhe und verreiste Fläche – ganz schlechte Kombi. „Nein, ich denke nicht. Ich habe mich nur erschrocken. Würden Sie mir hoch helfen?“, fragt die ältere Dame. „Selbstverständlich.“ Er packt sie kräftig am Arm und mit gemeinsamer Kraft schaffen sie es, dass sich die Dame auf ihren Rollator setzen kann.
Plötzlich lächelt sie zufrieden. Er ist verwirrt. „Wie schön“, murmelt sie. „Wie bitte?“ „Sehen Sie – da.“, sagt sie zu ihm und deutet Richtung Horizont. Über dem Meer geht in diesem Moment die Sonne auf und verwandelt nicht nur das Wasser, sondern auch den Bordstein in eine glitzernde Fläche wie abertausende Diamanten. Atemberaubend schön. Und seine schlechte Laune ist wie weg gepustet. Wenn diese alte Dame es schafft, nach einem solchen Sturz, selig gen Horizont zu blicken, dann kann er den Silberstreif auch erkennen. Es gibt immer etwas schönes im Leben. Man muss nur hinsehen und auf das Summen hören.
Lebt leuchtend, Lena.
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