Lagebericht: Hochsensibel Mutter sein

Eine unmögliche Kombi oder der perfekte Schlüssel zur Konfliktbewältigung?

Hochsensibilität ist ein Persönlichkeitsmerkmal, wie die Farbe meiner Haare und keine psychische Erkrankung. Sie macht mich nicht zu etwas Besonderen, zwingt mich aber dazu, auf mich zu achten. Wie schwer mir das im Alltag mit Kind fällt, will ich an dieser Stelle mit dir teilen, um Mut zu machen: Egal, wie anstrengend eine Situation auch scheint, wenn man sich mit ihren Ursachen beschäftigt und ehrlich in sich hineinhört, wie es einem damit geht, findet man auch eine Lösung.

Emotional geladen

Ich bin emotional. Nach über einem Jahr Mutterschaft wird die „Ausrede“ hormonelle Umstellung auch etwas langweilig. Versteht mich nicht falsch. Hormone sind eine feine Sache – im Allgemeinen. Aber Schwangerschaft, Wochenbett und Stillzeit halten einen Cocktail bereit, der mich einige Male eiskalt erwischt hat. Und auch jetzt, während meiner zweiten Schwangerschaft, benehme ich mich teilweise, als würde die Welt untergehen. Tut sie nie, fühlt sich für mich aber oft so an.

Es ist nicht erst einmal vorgekommen, dass ich vor Erschöpfung weinend und schimpfend wie ein Rumpelstilzchen durch unsere Küche gepoltert bin und versucht habe, aufzuräumen, zu putzen und nebenbei noch meinen Sohn zu Bespaßen. So viel zum Thema Gelassenheit…

Hilflosigkeit bei Hilfsangeboten

Mein Mann? Mein wunderbarer Mann steht daneben und fragt, wie er mir helfen kann. Und ich habe nichts besseres zu tun, als ihm schnippische Antworten ergeben. Weil ich erwarte, dass er weiß, was er zu tun hat. Liebe Mütter, mir ist klar: Die meisten von uns sehen das so . Also lasst mich deutlich sagen: Das ist falsch. Richtig ist, ganz deutlich zu sagen, was man gerade braucht.

Mein Mann will mir also helfen und ich will eigentlich nur in Ruhe meinen Tunnel aus Erschöpfung, Enttäuschung und Entrüstung durchqueren. Dabei hilft weder ein quengeliges Kind, noch ein hilfsbereiter Mann. Durch manche Situationen muss ich allein durch. Es hat eine Weile gedauert, bis ich verstanden habe, warum das wirklich so ist. Immerhin hört man ja ständig, man solle doch einfach um Hilfe bitten, wenn man nicht mehr kann. Das Problem für mich: Ich habe nicht das Gefühl, nicht zu können. Ich fühle mich nur ohnmächtig gefangen.

Reizüberflutung zwingt zur Kommunikation

Der Grund: Ich bin hochsensibel. Wenn ich nicht mehr kann, brauche ich meine Ruhe, weil ich überreizt bin. Und auch die Stimme meines Mannes reizt mich dann weiter. Leider nicht im positiven Sinne.

Die Lösung: Ich lerne, zu akzeptieren, dass ich die Überforderungsgefühle gerade nicht ändern kann. Ich nehme sie sogar an und nutze sie, um etwas Positives daraus zu ziehen. Mein überreiztes Gehirn zwingt mich dazu, ganz klar zu sagen, was ich gerade brauche und was nicht. Kommunikation ist der Schlüssel für eine glückliche Beziehung. Nicht nur mit meinem Kind oder meinem Mann, sondern vor allem mit mir. Nur ich allein bin für mein Glück verantwortlich. Daran ändern auch Ehe und Mutterschaft nichts. Ich allein kann erkennen, in welchen Momenten meine sensible Seite hilfreich ist und wann sie mir im Weg steht oder besser mir ihretwegen alles zu viel wird.

Meine geheime Superpower

Denn was bedeutet das schon? Ihretwegen? Hochsensibilität ist keine Krankheit. Für mich ist es eine Superpower, die wie alle Geheimwaffen manchmal auch eine Gefahr für den Träger der Waffe darstellen.

Ein Persönlichkeitsmerkmal, das meinen Charakter um einige Facetten reicher macht: Ich würde mich selber als ausgesprochen empathisch bezeichnen. Kleinigkeiten entgehen mir selten, was im Umgang mit kleinen Kindern, die sich noch nicht perfekt artikulieren können, großartig ist.

Geräusche und Düfte führen bei mir zwar schnell zu Stressreaktionen, allerdings kann ich mich auch stundenlang mit dem Rauschen des Meeres, Möwengeschrei und dem wunderbaren Duft von Algen und Salz abgeben, ohne mich zu langweilen.

Perspektivwechsel

Du siehst, man kann alle Facetten von der einen und von der anderen Seite betrachten. Ich entscheide mich für die Seite der positiven Ansichten. Außerdem kann ich das Wissen um mögliche Überrreaktionen meines Gehirns im Alltag nutzen: Musik sollte nicht zu laut sein und wenn ich am Frühstückstisch sitze, dürfen im Hintergund weder Nachrichten noch spannende Podcastfolgen laufen. Ich könnte mich dann nicht auf ein Gespräch oder mein Essen konzentrieren. Wenn ich etwas lese, muss das Radio genauso wie der Fernseher ausgeschaltet sein.

Wenn ich konzentriert bin und mich jemand aus dieser Konzentration holt, indem er oder sie mich plötzlich anspricht, weiß ich manchmal nicht, wohin ich meine Aufmerksamkeit jetzt lenken soll. Die Lösung ist denkbar einfach: Bevor jemand meinen Arbeitsbereich betritt, hilft ein Klopfen. Dann habe ich ein Signal, das deutlich macht: Kurz aus der Konzentration auftauchen und auf etwas anderes fokussieren. Mein Mann kommt beispielsweise oft leise an und fragt dann sehr sanft: “Darf ich ganz kurz?” Ich habe so die Möglichkeit, noch kurz Zeit für meine aktuelle Aufgabe zu fordern, oder direkt zu agieren. Wichtig ist bei mir unterm Strich: Nicht mit der Tür ins Haus fallen. Dann läuft alles super.

Stoische Lehren als Brücke zur Gelassenheit trotz Hochsensibilität

Stoizismus hat mich gelehrt, dass ich viele Dinge durch meinen eigenen Willen steuern kann. Ich kann nicht steuern, welche externen Reize mein Gehirn überlasten. Ich kann aber steuern, wie ich in diesen Situationen reagiere. Mein Zuhause ist sozusagen mein Trainingslager für meine innere Stoikerin.

Regelmäßige Ruhepausen zur Erholung, aber auch zur Sortierung meiner Gedanken sind essentiell für mich und stimmen absolut mit der Philosophie der Stoiker überein: Nur wer seinen Geist erforscht, kann innere Ruhe finden.

Am besten halte ich mich dafür in der Natur auf. Nicht ohne Grund mache ich mich auch jetzt im Winter praktisch jeden Morgen um acht Uhr auf den Weg zu einem Strandspaziergang. So bereite ich die Akkus für meinen Tag vor. Abgesehen davon, dass die Bewegung mir und meinem Kind gut tut, entspannt sich mein Geist wunderbar während dieser täglichen Übung. Aber auch die Möglichkeit, morgens vor allen anderen aufzustehen, meine Tagebuchseiten zu füllen (Journaling ist schon seit der Schulzeit ein großes Thema für mich.) und dann meinen Computer im Nachtmodus ohne blaues Licht zu öffnen und etwas in aller Ruhe zu schreiben, entspannt mich ungemein.

Hochsensibilität als Chance

Für mich bedeutet diese Charaktereigenschaft also vor allem eine Chance: Die Chance, Konflikte durch einen bewussten und verstärktem Umgang mit meinem Inneren langfristig gut lösen zu können. Als hochsensible Mutter kann das Leben mit der richtigen Einstellung und etwas Wissen über die inneren Vorgänge ganz wunderbar sein.

Hast du bereits Erfahrungen mit Hochsensibilität gemacht? Lass es mich in den Kommentaren wissen.

Deine Anna Lena.

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